Die Karosserie - I

Das Studium ging zu Ende, die Beziehung ebenfalls, was immer gleich blieb war der Wille, aus den ungezählten Einzelteilen, die verstreut auf dem Bauernhof, auf dem Dachboden und im Keller der Wohnung herumlagen, ein Ganzes zu machen. Zu meiner großen Freude fand ich unmittelbar nach Ende der Diplomarbeit eine Anstellung bei einem Automobilhersteller
in der Gegend und verdiente damit erstmals im Leben genug, um nebenher einen Oldie zu finanzieren. Jetzt konnten die großen und teuren Posten der Restaurierung in Angriff genommen werden. Zusammen mit meinem Bruder holte ich die bereits fast leere Karosserie aus ihrem Unterstellplatz, und los ging’s! Natürlich wusste ich vorher, auf was ich mich mit diesem Auto eingelassen hatte. Schließlich hat diese Karosserie etwas mehr Hohlräume und etwas mehr Blech rundum als alle meine bisherigen Projekte. Ob meinem Bruder das allerdings auch so richtig klar war, welchem Dreck und welcher Schinderei er sich da als freiwilliger Helfer aussetzen würde, das wage ich zu bezweifeln. Es dauerte schon Tage, bis wir die ganzen Dämmmatten mit einem abgeschnittenen Messer und einem abgerundeten Schraubendreher entfernt hatten. Es dauerte wiederum Tage, bis wir unzählige Schweißpunkte aufgebohrt und marode Blechpartien entfernt hatten. Im einzelnen fiel uns folgendes zum Opfer: Beide Bodenhälften, die Frontmaske inklusive Frontquerträger, die Schraubkanten für die Kotflügel, der Batteriehalter, der obere Teil des Wasserkastens, die Innenschweller, die Handbremsseilhalter, die Seitenteile hinten und der komplette Kofferraum ab den Radkästen. Viele, die das Auto in diesem Zustand sahen (meine neue Freundin Brigitte eingeschlossen), waren sich sicher, dass aus diesem unförmigen Etwas nie wieder ein Auto werden würde.

Nun, es dauerte nur einen Tag, um dem hässlichen Ding wenigstens eine einheitliche Oberfläche zu geben, genauer gesagt durfte ich sieben Stunden lang das Sandstrahlgerät einer Spedition benutzen, deren Juniorchef mal in meiner Klasse war. Ich musste lediglich den Sand und den Kraftstoff für den Kompressor bezahlen. Nach weiteren sechs Stunden war dann die ganze Karosserie in rote Grundierung von Spies-Hecker gehüllt. Die Sicht lag dabei teilweise unter 20 cm und der Garagenboden trägt diese Farbe heute noch. Da es in einer gemieteten Garage aber eher selten eine Absaugung gibt und ich den Nachbarn neben Kompressorlärm bis nachts um elf nicht auch noch Lacknebel zumuten konnte, musste ich mit geschlossenen Toren arbeiten. Ein wirklich langer und anstrengender Tag. Wenigstens hatte ich beim Grundieren kaum mit herausrieselndem Sand zu kämpfen, es waren nämlich alle Hohlräume offen und damit leicht auszublasen. Das meiste ging ohnehin schon auf dem Heimtransport verloren. Das Dach strahlte ich nur am Schiebedachausschnitt und im Randbereich, um Verzug zu vermeiden. Das glückte mir allerdings nicht vollständig, da das relativ große Sandstrahlgerät nicht so präzise zu führen war und ich deshalb links und rechts des Schiebedachs leichte Dellen produzierte, die ich später mühsam und stundenlang herausdrücken und -dengeln musste. Ich hätte wohl besser daran getan ein Stück Pappe dorthin zu kleben, wo ich nicht hinstrahlen wollte. Auch wenn es auf den Bildern vielleicht nicht so aussieht, so bin ich doch nach wie vor der Meinung, dass das Auto eine relativ gute Basis für einen Wiederaufbau bot. Irgendein Vorbesitzer hatte nämlich die meisten der Hohlräume mit einer zähflüssigen Pampe behandelt, die offensichtlich auch geeignet war, größere Durchrostungen von innen zu verhindern. So blieben in zum Beispiel die Flansche, an denen das Bodenblech mit den Querträgern verpunktet war, ebenso erhalten wie die Außenschweller. Die meisten herauszutrennenden Bleche waren lediglich von außen unter dem dick aufgetragenen Unterbodenschutz in Eisenoxid übergegangen.

Drei Wochen meines Jahresurlaubs verbrachte ich, wieder unterstützt von meinem Bruder, damit, kleinere Ecken neuen Blechs aus beidseitig galvanisch verzinktem Karosserieblech in Tiefziehgüte neu anzufertigen und einzuschweißen. Außerdem fertigten wir die Innenschweller neu an und versahen sie mit zusätzlichen Ablauflöchern, für die wir ein kleines Sickenwerkzeug anfertigten. Zusammen mit den beim örtlichen Mercedeshändler erworbenen Bodenhälften und den selbst gefertigten Übergangsbereichen vom Innenschweller zu den Längsträgern hinten waren am Ende des Urlaubs wenigstens die großen Baustellen der Fahrgastzelle geschlossen. Trotzdem überkamen auch mich nach diesem Urlaub Zweifel, ob die Schweißerei irgendwann ein Ende haben würde. Ich spielte zeitweise sogar mit dem Gedanken, die ganze Chose zu verkaufen.


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